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21. 10. 2021

Gesang der Maschinen

Kann ein Opernhaus selbst ein Instrument sein? Kann man die Technik, die sonst unhörbar hinter den Kulissen wirkt, zum Klingen bringen?

Man kann – wie die Abschlussarbeit von Nathalie Brum am Institut für Musik und Medien der Robert Schumann Hochschule beweist.

Ein Gong ertönt. Dann folgt sphärisches, dunkles Rauschen, ein helles Sirren und weitere, industriell- geschäftig klingende Geräusche. Mal bassig-dumpf, mal fiebernd-hell. Sie sind keiner konkreten Klangquelle zuteilbar, hängen als Audio-Loop in einem Innenhof der Wuppertaler Oper, dem Ort der Instal- lation der Kölner Architektin und Klangkünstlerin Nathalie Brum. Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit Gesang der Maschinen im Masterstudiengang Klang und Realität am Institut für Musik und Medien verwandelt sie mit zehn Lautsprechern das gesamte Areal in eine Akustiklandschaft der besonderen Art – inklusive der sonst nicht zugänglichen Räume hinter der Bühne oder den verwinkelten Zwischengebäuden. Die Architektur der Nachkriegsmoderne wird so zu einem ungewöhnlichen Klangkörper: „Im Rahmen der Installation geht es um das Verwischen von Grenzen. Das wird bei den Rundgängen spür- und hörbar: Ich möchte für die Teilnehmer den sonst sorgsam verborgenen Klang der Technik akustisch enthüllen und die Trennung zwischen dem Innen und Außen des Gebäudes aufheben. Architektur, Klangbilder und Umwelt werden so zusammengeführt“, erklärt Nathalie Brum. Wie zum Beweis, dass das wirklich funktioniert, vermischt sich der Sound der archivierten Geräusche aus den Lautsprechern in diesem Moment mit dem Martinshorn eines realen Rettungswagens, der am Gebäude vorbei Richtung Einsatzort fährt.

Die Oper wird mit Brums Installation also buchstäblich auf links gedreht. Was sonst dem Publikum verborgen bleibt, verschämt gedämpft in den Maschinenräumen der Atmosphärenfabrik Opernhaus, kommt jetzt als eigenständiges Tonkunstwerk ans Tageslicht und die Ohren der Besucher: Das Rauschen der Belüftungsanlage, die Unterbühnenmaschinerie der versenkbaren Bühnenelemente, das Surren des Lastenaufzugs oder der erwähnte Gong, der die Pause beendet.

Nathalie Brum hat diese Akustikelemente in über einhundert Sounddateien eingefangen und bearbeitet, hat sie moduliert, arrangiert und geloopt. Diese werden bei ihrer Installation nun in unterschiedlichen, immer wieder neu zusammengestellten Konstellationen über die Lautsprecher abgespielt, die teilweise gleichzeitig zu hören sind: „Die akustischen Überlagerungen sind ebenfalls gewollt. So ergeben sich immer wieder neue Klangschichten.“ Zwischen einer Minute und zwei Stunden waren die in monatelanger Arbeit entstandenen Aufnahmen lang – akustisches Rohmaterial für die Klangkünstlerin. „Ich bin im Prinzip so vorgegangen wie eine Bildhauerin, die einen Steinblock bearbeitet. Meine Aufgabe war es durch subtraktives Vorgehen herauszufinden, was darin steckt.“ Hörbar machen, was sonst unhörbar ist, Schichten abtragen, Töne herausarbeiten – die mühsame Suche nach Klang-Bruchstücken in der sonst streng verborgenen Kakophonie hinter den Kulissen des Opernhauses mündet bei Natalie Brum im nun transparenten Sound der Geschäftigkeit.


Bei aller Techniklastigkeit, ganz ohne menschliches Element kommt dieser Ansatz dann doch nicht aus. Mitten im modulierten Akustikgewebe, eingebettet in die Klangschichten des Maschinellen, erklingt auf ein- mal die nüchterne Arbeitsanweisung einer männlichen Stimme: „So, bitte die Zwei ab!“ Es ist die Regieanweisung des Inspizienten, der die Abläufe von Licht und Ton bei den Proben und Aufführungen koordiniert und auch schon einmal mit einem autoritär-zischelnden Pst! die Mitwirkenden zur Konzentration ermahnen muss. Nun ist er Teil der Klanginstallation und Erinnerung daran, dass hinter, unter und neben der Bühne nicht nur Aggregate surren, dröhnen, brummen, sondern eben erst Menschen den Kultur-Raum Opernhaus zum lebendigen Kunstwerk werden lassen.

Als Architektin kam Nathalie Brum bei der Sanierung des Kölner Opernhauses in den Kontakt mit den akustischen Welten auf und hinter der Bühne. Sie war beeindruckt von dem, was dem Publikum verborgen bleibt, der Infrastruktur und dem Aufwand, der betrieben wird, um diese möglichst unsichtbar und unhörbar zu machen. Genau das wollte sie ändern. „Ich habe mich gefragt, ob ein Opernhaus eine eigene Stimme haben kann.“


Am Institut für Musik und der Medien der Robert Schumann Hochschule stellte sie diese Frage ebenfalls
– und aus einer Projektidee wurde das Konzept für eine Abschlussarbeit im Studiengang Klang und Realität. Und auch in Wuppertal fand Brum mit dem technischen Direktor des Opernhauses, Mario Engelmann, sowie dem Intendant Berthold Schneider und der Dramaturgin Sina Dotzert Verbündete für ihr Projekt, das am Anfang noch recht formlos und ergebnisoffen schien. Es entwickelte sich sozusagen von selbst ab 2019, dem Zeitpunkt, als Nathalie Brum in Wuppertal zur Klangforscherin wurde und sowohl bei personalintensiv besetzten Aufführungen dabei war wie auch bei den täglichen Routinearbeiten der Oper ohne Publikum. Spätestens mit der Covid 19-Pandemie wurde aus dem Opernhaus dann sowieso ein vergleichsweise sparsam bevölkerter Kunst-Ort. Dennoch: Brums Feldforschungen zeitigten interessante Ergebnisse, selbst wenn kein Aufnahmegerät mitlief. „Ich habe teilweise einfach nur im Raum gesessen und die akustischen Eindrücke auf mich wirken lassen. Dabei konnte ich schon feststellen, dass es dominante Frequenzen und einen Schwerpunkt bei Obertönen zu geben scheint. Interessanterweise deckten sich diese subjektiven Eindrücke mit den späteren Analysen der Sounddateien am Rechner.“ Noch etwas fiel ihr auf: „Es gibt so gut wie keine Rhythmik bei den Geräuschen, das meiste ist eher ein Klanggewebe. Die Technik von heute ist deutlich leiser, weniger stampfend, unaufdringlicher. Es sind an- und abschwellende Geräusche. Die wollte ich hörbar machen, obwohl das menschliche Ohr dazu neigt, solche Klangkulissen auszufiltern. Deshalb sind auch Momente der Stille Teil der Installation: Sie machen durch die Abwesenheit von Klang das sonst permanente Vorhandensein von Geräuschen erst bewusst.“


Ein Rundgang mit Nathalie Brum durch ihre Klang-Welten ist also auch eine Reise in die eigene Wahrnehmung. Akustik und begrenzter Raum, Klang und Außenwelt vermischen sich zu einem Gesamteindruck, der das Gewohnte hinterfragt und den Schleier vom magischen Maschinenraum eines Opernhauses zieht. Die Installation legt Dinge offen – nicht zuletzt den menschlichen Umgang mit Geräuschen und Klängen.


Text: Carsten Sobek
Foto: Philip Kistner



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