Your browser is not supported, please upgrade to the newest version.
07.10.2024

Das selbstverständliche Nein

Die bundesweit erste Professur für Intimitätskoordination hat die Robert-Schumann-Hochschule eingerichtet und mit der Schauspielerin Hanna Werth besetzt. Wir durften bei der Premiere dabei sein.

Hanna Werth, Geboren 1986 in Hanau Nach dem Abitur Schauspielstudium in Leipzig, Engagements in den Ensembles Leipzig, Wuppertal und Düsseldorf. Diverse Auszeichnungen (etwa 2013 Beste Nachwuchs-Schauspielerin NRW, 2021 Förderpreis für Darstellende Kunst der Landeshaupt- stadt Düsseldorf). Seit 2014 Leitung des Theater-Jugendclubs am D’haus, Workshops, zahlreiche Beiträge zu Festivals, eigene Regiearbeiten, regel- mäßige Arbeiten für den Hörfunk.

„Gehst Du mit mir einen Kaffee trinken?“ – „Nein.“ – „Danke.“

Ein Mann, eine Frau, beide Studierende der Gesangsklassen an der RSH, blicken sich aus gemessenem Abstand in die Augen bei diesem zugegeben etwas merkwürdig anmutenden Dialog. Sie stehen sich irgendwie absichtslos in entspannter Körperhaltung gegenüber in einem der Seminarräume an der Fischerstraße, die neben einem Flügel auch eine kleine Bühne haben. Die beiden jungen Leute, ob sie es nun ahnen oder nicht, sind Teil einer Premiere, die ihr Leben, das Berufsleben von Menschen, die auf Bühnen oder vor Kameras stehen, verändern wird. Hanna Werth hat den sieben Sängerinnen und Sängern, die zu ihrer ersten Stunde als neue Professorin für „Intimitätskoordination“ erschienen sind, diese Paaraufgabe gestellt. Die Übung nennt sich „Practice Saying No“ - es geht spielerisch ums Neinsagen und das meint, Grenzen setzen.

Intimitätskoordination ist eine sehr junge Disziplin am Set und auf Bühnen. Vor nicht einmal zehn Jahren entstanden in den USA erstmals Richtlinien für die Umsetzung von Sex- oder Gewaltszenen beim Film, die nach den Me-Too-Skandalen 2021 in die Gründung von Ausbildungsstätten mündeten. IC, Intimacy Coordination, ist inzwischen in fast allen Filmstudios etabliert, an Bühnen im Kommen. „Dass die RSH diese Juniorprofessur einrichtet, finde ich großartig, innovativ und absolut wegweisend für den Wunsch nach einer Kultur, in der wir angstfrei Kunst machen und leben können. Ich hoffe, dass viele Kunst- und Musikhochschulen diesem Pionierschritt folgen und ebenfalls Intimitätskoordination fest im Unterricht und auch für Lehrkräfte installieren“, sagt die erste Professorin ihrer Art in Deutschland.

Hanna Werth ist als Schauspielerin nicht nur dem Düsseldorfer Publikum bestens bekannt und in diversen Funk-, Hörspiel- und Festival-Formaten außerordentlich präsent. Die 38-Jährige, die in Düsseldorf mit Mann und zwei kleinen Kindern lebt, ist zum 1. Mai 2024 für drei Jahre zur Juniorprofessorin für Szene & Intimitätskoordination an die RSH berufen worden. Ein Vollzeitjob mit großen Freiheiten gegenüber der nun beendeten Festanstellung im Ensemble des Schauspielhauses. Das Lehrdeputat umfasst neun Semesterwochenstunden, von denen manche als Gruppenunterricht, manche für die konkrete Erarbeitung von Szenen genutzt werden, etwa beim Opernprojekt.

In unserer Versuchsanordnung verändert sich mit wechselnden von den Studierenden spontan erdachten Fragen und wechselnden Partnern die Intensität des Neinsagens innerhalb der Gruppe. Klar, es darf auch rumgealbert werden. Doch der Moment des Zurückweisens einer nachdrücklichen Bitte, dem jedesmal ein tiefes Ausatmen vorhergehen soll, wird von Mal zu Mal präsenter erlebt. Und nicht nur die Neinsagende spürt den Widerstand, den sie dazu überwinden muss. Auch auf den Fragenden wirkt das „Nein“ verunsichernd zurück. Stabil ist da in der Beziehung der beiden erst einmal nichts mehr. Und das akzeptierende „Danke“ entwickelt seine beruhigende, deeskalierende Wirkung allenfalls bei späteren Versuchen. „Wir sind gesellschaftlich darauf sozialisiert worden, immer Ja zu sagen, damit wir angenommen werden. Erst, wenn eine Grenze, ein Nein etabliert wurde, kann auch ein Ja akzeptiert werden“, weiß Hanna Werth. Und verbindet damit ihren Wunsch, in den jungen Künstlerinnen das (Selbst-)Bewusstsein zu stärken, klarer für sich einzustehen und „eine Kultur der respektvollen, zugewandten Kommunikation zu begründen.“

„Als ich das erste Mal von IC gehört habe, über eine Freundin, die in einer Netflix-Serie von einer Intimitätskoordinatorin durch eine Nacktszene choreografiert wurde, war mir sofort klar: So und nur so will ich am Theater arbeiten“, berichtet Hanna Werth von ihrer Begegnung mit IC. „Wie oft hätte ich das in meinen fast 15 Jahren Bühnenkarriere brauchen können: einen Profi an der Seite der Produktion, der Szenen, die Intimität beinhalten, begleitet, strukturiert, vor- und nachbereitet und choreografiert. Wieviel besser hätten diese Szenen sein können, wenn ich mich auf mein Spiel, meine eigentliche Arbeit hätte konzentrieren können und mich nicht vor Peinlichkeiten, Fettnäpfchen, Sexismus und Verletzungen schützen müssen.“

In ihrer Arbeit mit den Studierenden geht es Hanna Werth auch um das grundsätzliche Verständnis für die eigenen Grenzen, die gerade im Kulturbereich sehr häufig übertreten werden. Weil das Machtgefälle riesig ist und die Angst, in Ungnade zu fallen, omnipräsent. Sie hat in ihrer ersten Seminarstunde neben einer Menge theoretischen Inputs auch skandalöse Beispiele aus der Filmgeschichte parat. Etwa den Dreh der Sexszenen im Skandalfilm „Der letzte Tango in Paris“ und die psychischen Folgen für die weibliche Hauptdarstellerin Maria Schneider.

Hanna Werths Pläne für die kommenden Jahre gründen auf die Erfahrung, die sie in der szenischen Arbeit mit Gesangsstudierenden gemacht hat. Sie wird auch weiter gerade das jährliche Opernprojekt begleiten, ihren neuen Schwerpunkt aber deutlicher einbringen. Außerdem schmiedet sie Pläne für Themen-Workshops und möchte viele Expert:innen einladen, die Seminare und Vorlesungen halten und auch selbst Workshops geben.

Zurück zu unserer Spielsituation, für die Hanna Werth eine Erweiterung bereit hält: Nach dem „Danke“, soll die oder der Zurückweisende jetzt einen alternativen Vorschlag machen. Das kann hier statt des etwas zu intimen Kaffeetrinkens etwa ein gemeinsamer Konzert-Besuch sein. Oder sich an den Händen zu nehmen, anstatt sich zu umarmen. „Bei der Arbeit auf der Bühne gibt es immer Alternativen. Niemand muss etwas tun, was er nicht will, weil es seine Grenzen verletzt.“, sagt die junge Professorin und gibt ihre Erfahrung an die Studierenden weiter: „Im besten Fall verhandelt man auf Augenhöhe.“

 

Von Armin Kaumanns
 



zurück
Robert Schumann Hochschule Düsseldorf Fischerstraße 110, 40476 Düsseldorf
Fon: +49.211.49 18 -0 www.rsh-duesseldorf.de