Der braune, altmodischen Teppich unter ihr setzt einen skurrilen Kontrapunkt zu der Technik, die sie umgibt. Auch zu dem orangefarbenen und violetten Scheinwerferlicht. In ihren Songs legt Ruka ihr Herz frei. Es geht um sehr Privates. Das Thema des Liedes „Next Best Friend“ zum Beispiel sind Freundinnen, von denen sie sich längst verabschiedet hat. „Man will die eigentlich gar nicht zurückhaben, deswegen hat man ja schließlich nichts mehr mit denen zu tun. Aber manchmal frage ich mich trotzdem: Was macht die? Und wo wohnt die? Haben sich ihre Träume erfüllt? Das ist alles schon lange her. Und trotzdem beschäftigt es mich.“
Laura Rukavina hat ihre Songauswahl ursprünglich für ihre Bachelor-Abschlussprüfung zusammengestellt: Ein Mix aus eigenen Stücken, viel Pop, ein bisschen Rock und Musical. „Es ging darum, Vielseitigkeit zu zeigen“, sagt sie. Die Umstände ihrer Prüfung sind ungewöhnlich gewesen. „Ich habe sie quasi als Doppelkonzert veranstaltet, in der Düsseldorfer Altstadt, und gemeinsam mit einer Freundin, die auch ihre Prüfung gespielt hat. Das war ganz angenehm.“ Was stark untertrieben ist, denn der „Hof Düsseldorf“, der früher Ratinger Hof hieß, ist ein cooler Konzertort mit einer langen Musikgeschichte. Er war unter anderem die Geburtsstätte der Neuen Deutschen Welle und dem deutschen Punk. „Man hätte das nicht in einem so großen Rahmen machen müssen“, sagt Ruka. „Aber dadurch kam es, dass ich die Band da hatte und meine Songs arrangiert habe. Und deswegen können wir jetzt auch so was hier machen.“
Die Abendsonne steht tief zwischen Gebäude 3 der Hochschule Düsseldorf und der Mensa. Mit ihren letzten Strahlen heizt sie die Konzertfans auf, die in Trauben vor dem Café Freiraum beieinander stehen. Wo der Eingang ist, erkennt man auf den zweiten Blick. Die Studierenden plaudern, Getränke in der Hand, Manche haben Instrumentenkoffer dabei. Im vorderen Bereich des Cafés Freiraum wandern die Getränke über die Theke, hier herrscht Kommen und Gehen. Mittendrin: Nora Bögel. Sie studiert Jazz- und Popklavier am IMM und gehört bei dieser Session zum Organisationsteam, genauso wie die Sängerinnen Anna Hummen und Sandra Zavada sowie der Jazztrompeter Jannis Verhoeven. Nach Rukas Auftritt eilt Bögel hin und her, um eine Band auf die Bühne zu bekommen, die nach dem Opener den Auftakt zum Jammen macht. „Typisch, zuerst will niemand, und am Ende kommen sie plötzlich alle.“ Jeder könne da mitmachen, sagt sie. Und musikalisch-stilistisch gebe es auch keine Grenzen. „Rock, Pop, auch Musicals werden gecovert. Dann hatten wir einen Rapper da, der hat Hip-Hop gemacht, mit einer sehr großen Bandbesetzung. Und ansonsten haben wir eben viel Groove- und auch Jazz-Einflüsse.“ Bilder und Videos vergangener Sessions sind Instagram zu sehen und zu hören. Auch alle Termine werden dort gepostet.
Rund ein Viertel aller Student*Innen der Robert Schumann Hochschule, ca. 200-250 jedes Semester, sind beim IMM eingeschrieben. Eine erstaunliche Zahl. Sie zeigt, wie attraktiv die Ausbildung dort ist. Die Studierenden werden intensiv und optimal auf ein Berufsleben vorbereitet, bei dem Musik und Medien verbunden werden sollen. Zwar haben sie in der Vergangenheit immer wieder Gelegenheit gehabt, gemeinsam zu musizieren. Diese Events haben aber eher sporadisch stattgefunden und konnten sich nicht etablieren. Erst seit März 2023 bietet die Jam Session des IMM im Café Freiraum fast jedem Monat im laufenden Semester regelmäßig eine Bühne. Das ist nötig, denn die Studierenden verlieren sich aufgrund ihrer Spezialisierung im späteren Studium immer mehr aus dem Blick auf dem Weg zum Produzenten, Regisseur oder Toningenieur. „Man hat acht verschiedene Schwerpunktmöglichkeiten am Institut für Musik und Medien und nur eine einzige Stunde Instrumentalunterricht pro Woche“, erläutert Bögel. „Auch, wenn man total leidenschaftlich sein Instrument spielt, hat man manchmal das Gefühl, da könnte noch mehr gehen. Und dann ist so ein Ort sehr wichtig, um überhaupt zusammen zu kommen und spontan aufeinander zu reagieren.“ Sich zu befreunden und zu vernetzen ist dabei ein wichtiger und nützlicher Nebeneffekt, um später elegant in der Kultur- und Kreativbranche Fuß fassen zu können. Das funktioniert beim Jammen noch gänzlich ohne Konkurrenzkampf, sagt Bögel. „Es ist ein total schönes Miteinander, auch auf der Bühne. Zusammen schafft man was Großes, anstatt Ellbogenmentalität zu erleben.“
Manchmal spielen die Bands zum ersten Mal vor Publikum. Sängerinnen wie Ruka haben schon etwas mehr Erfahrungen sammeln können. Allen aber ist gemein, dass ihre eigene musikalische und berufliche Zukunft noch in den Sternen steht. Wie immer schadet es nichts, von den Eltern gefördert worden zu sein. „Ich komme nicht aus einer musikalischen Familie. Bei uns war das jetzt nicht so ein Ding. Aber ich war ein ganz großer ‚Hannah Montana‘-Fan“, sagt Ruka. Von dieser Disney-Serie mit Miley Cyrus in der Hauptrolle ist sie ebenso hingerissen gewesen wie von den vielen „High School Musical“-Filmen. „Am Ende d er Grundschule habe ich eine Gitarre in die Hand gedrückt bekommen. Aber ich habe immer schon lieber gesungen. In der Schule habe ich super viel Musical gemacht. Wir hatten eine Chor AG, da wurde einmal im Jahr ein Musical auf die Beine gestellt. Das war schon ziemlich cool.“ Ruka hat schon viel ausprobieren können. „Was sehr gut ist, weil sonst wäre ich nicht am IMM.“ Ob sie später ausschließlich von ihrer Musik leben kann? „Das wäre natürlich schön. Ich bin da aber relativ realistisch. Das hier mache ich jetzt einfach. Und es macht Spaß, die eigene Mucke zu machen, zu schreiben und auszuprobieren. Ohne Deadlines, ohne Richtlinien.“ „Einfach mal machen“, meint Ruka. Auch für die Jam Sessions im Café Freiraum könnte das ein gutes Motto sein.