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18.09.2024

Ein Faible für Höhenflüge

In Birmingham lernt Amy Harman das Fliegen. Vor und zurück, hin und her, hinauf und hinunter. Quer durch eine Industriehalle. Sie ist nicht allein. Um sie herum schweben elf Kolleginnen, Musiker mit ihren Instrumenten. Für Karlheinz Stockhausen, den 2007 verstorbenen Visionär des Musiktheaters, sind es „Finalisten“, Menschen, die sich um eine Orchesterstelle bewerben. Eine Wahnsinnsidee.

Aber nur konsequent, denn in seiner Oper „Mittwoch aus Licht“ geht es Stockhausen auch um das Element Luft. Erst 2012 wird dieses Werk uraufgeführt. Es ist schwer zu finanzieren, schließlich muss man dafür auch den Einsatz von vier Helikoptern bezahlen können. Amy Harman ist damals dabei. „Manchmal erinnere ich mich und denke, habe ich das nur geträumt?“, sagt sie, immer noch perplex. „Haben wir wirklich in 50 Metern Höhe gespielt? Da war nur ein schmaler Metallbalken mit einem kleinen Sitz und mit Ketten, die an meinem Instrument befestigt waren. Und natürlich mussten wir 45 Minuten aus dem Gedächtnis spielen, das ist nicht eben ein leichtes Unterfangen. Es hat Monate gedauert, mich darauf vorzubereiten. Verrückt. Aber ich habe es geliebt.“

Amy Harman, die neue Professorin für Fagott an der Robert Schumann Hochschule, hat ein Faible für Höhenflüge. Sie ist eine waschechte Londonerin aus Crystal Palace, einem Stadtteil im Süden, bekannt für einen Fußballverein und einen riesigen Glaspalast, der hier einmal stand. Ihre Eltern sind Politiker und nie besonders interessiert gewesen an den Künsten. Doch Amy war ihr Gegenteil. „Schon als kleines Kind war ich sicher, dass ich Musik einfach liebte. Da war ich so drei, vier Jahre alt. Meine Eltern waren irritiert, aber sie ließen mich machen und waren wirklich sehr gut darin, mir zu vertrauen.“ Harmans Liebe zur Musik entwickelt sich damals also nicht durch äußere Einflüsse (nimmt man die Disney-Filme aus, von denen sie noch heute schwärmt). Sie sprudelt vielmehr nur so aus ihr heraus. Und immer schon hat sie eine Vorliebe für alle Instrumente, die tiefe Töne produzieren. Harman lacht. „Noch heute muss ich anschließend einen Pfefferminztee zu mir nehmen, wenn ich einer Piccolo-Flöte zuhören muss – oder dergleichen.“ Zunächst ist sie von der Bassklarinette fasziniert. Doch die kann man nur lernen, wenn man alle anderen Klarinetteninstrumente gleich mit dazu nimmt. Über den Kontrabass (für den sie am Ende doch zu schmale Hände hat) kommt sie zum Cello, das ihr Hauptinstrument wird, bis sie 18 Jahre alt ist. Amy Harman ist ein Musterbeispiel dafür, dass auch in einem unmusikalischen Umfeld eine frühe, exzellente Förderung sehr viel bewirken kann. „Du brauchst Menschen, die dir dabei helfen. Und ich wollte einfach alles kennenlernen.“ Nach dem Studium am Royal Academy of Music wird Amy Harman 2011 für sechs Jahre erste Fagottistin beim renommierten Philharmonia Orchestra. Sie ist 24 Jahre alt. Auf den Tourneen lernt sie schon damals Deutschland und seine Konzerthäuser kennen.

Harman kennt das Klischee, das über ihr Instrument im Umlauf ist. Das Fagott als komisches, nicht besonders schön klingendes Ding, das vor sich hin trötet und grummelt – wie der Großvater in Sergei Prokofjews „Peter und der Wolf“. Sie aber hat das Instrument schon von Beginn an anders erlebt. „Wenn man sich zum Beispiel anschaut, was Mozart für das Fagott komponiert hat – da fühle ich mich wie eine Solistin.“ Da sind die lyrischen Passagen in Mozarts Opern und die melancholischen Soli bei Peter Tschaikowsky. Und schließlich gibt es Dmitri Schostakowitsch, der für das Fagott fast schon irritierend melodiös komponiert hat. „Tatsächlich ist das Fagott der Poet im Orchester, nicht der Komiker. Das ist es, was ich immer schon gedacht habe. Wenn wir es lernen, wie ein Poet oder ein Sänger zu spielen, verfeinern wir den Klang und verwandeln ihn in etwas Wunderschönes. Dann werden die Menschen auch den wahren Charakter dieses Instrumentes erkennen.“ Solokonzerte für Fagott sind nicht so reich gesät, sieht man von den Werken von Vivaldi einmal ab. Von Mozarts drei Fagottkonzerten hat nur eines die Zeiten überdauert. Für die Romantik kann man eine veritable Repertoire-Lücke feststellen. Erst im 20. und 21.Jahrhundert schreiben Komponistinnen und Komponisten wieder vermehrt für das Instrument. Und diese Werke sind nicht selten auf die Ausführenden zugeschnitten, wie bei dem Konzert, das die Komponistin Roxanna Panufnik für Amy Harman geschrieben hat. Daneben liefert die Kammermusik mehr Fagott-Repertoire. Nicht umsonst ist Harman zehn Jahre lang Mitglied beim britischen Ensemble 360 gewesen. Die Musiker spielen in einer kleinen Besetzung, mit der man viele unterschiedlich dimensionierte Werke realisieren kann. „Kammermusik lehrt dich, eine gute Kollegin zu sein, zuzuhören, immer das Radar anzuhaben, wie wir immer sagen. Wenn man dieses Wissen dann hat, ist es auch viel einfacher, in einem Orchester zu sitzen. Du passt wirklich auf, was um dich herum passiert.“

Was das Unterrichten betrifft, entwickelt Amy Harman fortwährend neue Ideen. Elf Jahre hat sie schon an der Royal Academy of Music gelehrt. Jetzt aber hat sich ihr vielleicht größter Traum erfüllt. Sie wird wieder zur fliegenden Fagottistin, allerdings nicht auf dem Trapez, sondern im Auftrag der Robert Schumann Hochschule. Jedes Semester jettet sie regelmäßig nach Düsseldorf und unterrichtet. Schon als 22-jährige hat Harman Unterricht bei jenem Lehrer gehabt, den sie nun in Düsseldorf ablöst: Gustavo Núñez. Während sie weg ist, kümmert sich eine ganze Armee von Verwandten in London um die drei Kinder. Ihr Ziel ist es, jeden Tag zur Schlafenszeit wieder zurück in der Stadt zu sein. Wenn man mit Metaphern aus der Akrobatik weiterarbeiten will, könnte man das Jonglieren mit Familienleben und Unterricht durchaus auch als ein Drahtseilakt bezeichnen. Aber Amy Harman ist sich sicher, dass sie das schafft. Schließlich, so sagt sie, sei für jeden Fagottisten, jede Fagottistin Deutschland ein Mekka. „Hier werden die besten Instrumente gebaut, hier arbeiten die besten Musiker. Deutschland hat eine so große Reputation, was die Produktion von Exzellenz betrifft. So viele verschiedene Nationen versammeln sich hier. Deutschland ist schon immer mein Ziel gewesen.“

Amy Harman schafft es, jeden und jede mit ihrer Begeisterung für die Musik mitzureißen. Sie ist bis zum Rand gefüllt damit, und ständig brennt sie darauf, ihr Wissen weiterzugeben. Mit ihren Student:innen in Düsseldorf plant Amy Herman Dinge, die über den normalen Unterricht hinausgehen. „Ich möchte, dass wir zusammengehören, dass wir Vieles gemeinsam unternehmen. Gestern Abend zum Beispiel haben wir einen Probespielabend zum Üben veranstaltet, bei dem jeder vorspielen musste. Die anderen gehörten jeweils zur Jury. Dann gab es für alle bayerisches Bier – einer meiner Studenten kommt aus Bayern – und wir sprachen darüber, was wir übereinander dachten. So was liebe ich, das ist so nützlich. Wir können so viel voneinander lernen.“ Eine weitere Idee von Harman sind Tonleitern, die sie auf ihrem Handy gespeichert hat. „Man drückt einen Knopf und das Gerät wählt eine beliebige aus, die wir dann spielen.“ Am Ende müssen ihre Student:innen alles können und alles lieben, was ihr Instrument an Klängen und Möglichkeiten zu bieten hat. „Ich möchte, dass sie in eine Position kommen, aus der heraus sie jeden Job kriegen können. Ich will, dass sie zu Vorspielen gehen, sich dabei selbstbewusst fühlen und sie gewinnen. Gut vorbereitet, und durch nichts zu erschüttern.“

Amy Harman wird das sicher leicht gelingen. Schwieriger ist es, ihre Kinder nicht zu sehr mit ihrer Passion für die Musik zu nerven. Ihr großes Sendungsbewusstsein sei ihr da manchmal im Weg, sagt sie, und vermutet, es kommt wahrscheinlich daher, dass sie wie ihr Horn spielender Mann aus einer nicht-musikalischen Familie stammt. „Weil eben alles, was unsere Musik betrifft, aus uns selbst heraus gekommen ist. Keiner hat uns gezwungen. Meiner Fünfjährigen sage ich schon mal, los, hol‘ die Violine raus und übe. Und sie ist verwirrt, sie will das nicht. Ich weiß nicht, wie ich ihr musikalisches Leben ohne Druck starten kann. Ich will so sehr, dass sie das tut, weil ich den Spaß kenne, den das bringt.“ Es geht aber noch schlimmer. „Mein zweijähriger liebt Fußball! Und ich denke, oh nein, ich will nicht an einem schlammigen Fußballfeld stehen mit dir, jedes Wochenende...“ Doch wo immer hier auch die Reise hingeht, Amy Harman ist am Ziel ihrer Wünsche. Auf das Nach-Brexit-England ist sie nicht mehr angewiesen. Hier streicht man öffentliche Gelder, lässt Orchester zugrunde gehen und Musiker:innen am langen Arm verhungern, erzählt sie. Amy Harman hat Glück, sie ist halbe Irin, Bürgerin der EU und kann im Ausland dauerhaft arbeiten. „In Deutschland herrscht eine ganz andere Kultur. Wenn ich am Flughafen Düsseldorf bin, scannen sie meinen Instrumentenkoffer. Sie fragen sie mich, was da drin ist, und ich sage es ihnen. Und sie wissen, was das ist, ein Fagott! Die Künste sind eben hier sehr lebendig.“

Text: Markus Bruderreck



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